Gemma Pörzgen über Gefahren für die Pressefreiheit

Gemma Pörzgen arbeitet als freie Journalistin mit Osteuropa-Schwerpunkt in Berlin. Sie studierte Politikwissenschaften, Slawistik und Osteuropäische Geschichte in München und volontierte bei der Frankfurter Rundschau. Sie war als Nachrichtenredakteurin tätig, später als Auslandskorrespondentin auf dem Balkan und in Israel/Palästinensergebiete. Die Journalistin arbeitet heute in der Redaktion von Deutschlandfunk Kultur, als freie Autorin, als Veranstaltungsmoderatorin und Medienberaterin. Sie ist Mitbegründerin und Vorstandmitglied von Reporter ohne Grenzen. Ihre Webseite: www.gemma-poerzgen.de

Wie steht es derzeit um die Pressefreiheit weltweit?

Wir haben gerade erst unsere jährliche Rangliste der Pressefreiheit veröffentlicht, die einen Überblick darüber bietet, wie sich im Jahr 2019 die Lage für Journalisten und Medien entwickelt hat. Darin dokumentieren wir leider wieder einmal, wie schwer es in vielen Ländern der Welt ist, eine freie, unabhängige Berichterstattung zu gewährleisten. Autoritäre Regime unterdrücken die Medienlandschaft in ihren Ländern, aber auch in Demokratien führen populistische Stimmungsmache und der Niedergang der traditionellen Geschäftsmodelle zu wachsendem Druck.

„Presse- und Informationsfreiheit sind wichtiger denn je“

China, Saudi-Arabien und Ägypten sind die Länder, in denen im vergangenen Jahr die meisten Journalisten und Journalistinnen inhaftiert waren. Es lohnt sich, das auf unserer Webseite im Detail nachzulesen. Wir haben die Entwicklung nach Regionen aufgeschlüsselt und zeigen auch, dass  Norwegen, Finnland, Dänemark und Schweden unverändert die Spitzenplätze einnehmen.

Welche Auswirkungen hat die Coronakrise auf die Arbeit von Journalisten und Journalistinnen? 

Pressefreiheit ist ein wichtiger Gradmesser für den Zustand von Gesellschaften. Das gilt jetzt umso mehr für den Umgang mit der Covid-19-Pandemie. Als Reporter ohne Grenzen haben wir sofort damit begonnen, ganz gezielt zu dokumentieren, in welchen Ländern die Regierungen versuchen, in der Coronakrise die Informationsfreiheit noch stärker einzuschränken. Leider gibt es weltweit eine Fülle solcher Fälle, die jetzt unsere Aufmerksamkeit brauchen.

Presse- und Informationsfreiheit sind wichtiger denn je, um zu informieren, recherchieren, in Zusammenhänge einzuordnen und kritische Fragen zu stellen. Gerade jetzt werden die Unterschiede zwischen Ländern mit freien Medien und denen, die auf Zensur und Nachrichtenkontrolle setzen, noch sichtbarer als zuvor.

So haben China und Iran bei Ausbruch der Covid-19-Pandemie versucht, das Ausmaß der Epidemie zu vertuschen und unabhängige Berichterstattung darüber zu unterbinden. Mehrere Bürgerjournalisten sind verschwunden, nachdem sie beispielsweise über die Zustände in den Klinken während der Quarantäne am Ausbruchsort Wuhan ganz anders berichteten als die Staatsmedien. Einige politische Kommentatoren, die Verordnungen von Staatschef Xi Jinping kritisierten, wurden festgenommen oder unter Hausarrest gestellt.

„Auch in Deutschland beobachten wir einen Trend,
dass sich Aggressionen gegen Journalisten in Gewalttaten entladen“

In Iran haben Geheimdienst und Revolutionswächter in fast allen Landesteilen Journalisten und Journalistinnen zu Verhören eingeladen, die über den Alltag mit der Pandemie berichteten. Mehrere von ihnen wurden beschuldigt, Gerüchte zu verbreiten. In der Türkei wurden in nur einer Woche sieben Kollegen festgenommen, weil die Behörden ihnen vorwarfen, Panik zu verbreiten. Auch in Russland können die Bürger sich nicht darauf verlassen, dass sie wirklich erfahren, wie viele Menschen an Covid-19 in ihrem Land erkranken und welche Ausmaße die Pandemie bereits angenommen hat. Zahlreiche Staaten stellen ihre Zensurmaßnahmen über den Gesundheitsschutz ihrer Bevölkerung.

Gibt es vergleichbare Entwicklungen auch in der Europäischen Union?

Schauen Sie nur nach Ungarn. Dort verabschiedete das Parlament Ende März ein umstrittenes Gesetz, das Ministerpräsident Viktor Orban fast unbegrenzte Sondervollmachten in der Coronakrise einräumt. So können nun angebliche Falschmeldungen oder „verzerrte Fakten“ in den Medien mit Strafen von bis zu fünf Jahren Haft bedacht werden. Reporter ohne Grenzen sieht in diesem Gesetz den Versuch, die Coronakrise dafür zu missbrauchen, um die letzten unabhängigen Journalisten und Journalistinnen im Land mundtot zu machen.

Aber auch in Deutschland drohen Gefahren für die Pressefreiheit. Mitten in Berlin wurde gerade erst ein TV-Team des ZDF brutal attackiert und einige Crew-Mitglieder wurden zum Teil schwer verletzt. Das zeigt leider einen Trend, den wir auch in Deutschland schon länger beobachten, dass sich Aggressionen gegen Journalisten in Gewalttaten entladen. Gerade Fernsehteams sind deshalb beispielsweise bei Nazi-Demonstrationen oft nur noch in Begleitung von Sicherheitspersonal unterwegs.

Sie haben 1994 die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen (RSF) mit einigen Kollegen zusammen gegründet und sind auch heute im Vorstand der Organisation. Wie hat sich das Engagement von RSF seitdem verändert, welche Erfolge konnten erreicht werden?

Wir haben vor mehr als 25 Jahren sehr improvisiert begonnen und es gab am Anfang nur ehrenamtliches Engagement. Dank steigender Mitgliederzahlen und Spenden, aber auch durch den Verkauf unseres Bildbandes „Fotos für die Pressefreiheit“ hatten wir dann genug Geld zusammen, um unsere erste Geschäftsführerin Barbara Petersen zu beschäftigen.

„Für eine Demokratie ist es zentral,
dass man verlässliche Informationen erhält
und unabhängige Medien nutzen kann.“

Diese Professionalisierung unserer Arbeit hat sich über die Jahre verstetigt und heute haben wir in Berlin eine Geschäftsstelle mit rund 30 festen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, während wir im Vorstand weiter ehrenamtlich mitwirken.

Im Zuge dieser Entwicklung hat sich auch der Stellenwert unseres Themas sehr stark verändert. Während Pressefreiheit früher selbst im Kollegenkreis vielen eher als Nischenthema erschien, hat sich das sehr stark geändert. Heute ist sehr vielen Menschen bewusst, wie zentral es für eine Demokratie ist, dass man verlässliche Informationen erhält und unabhängige Medien nutzen kann. Interessanterweise spiegelt sich auch in unserer Mitgliedschaft wider, dass immer mehr „normale Leute“ uns unterstützen und eben nicht nur Journalisten, weil sie unsere Ziele wichtig finden.

Das freut mich, weil es zeigt, dass wir es schaffen, unser Anliegen heute in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen als vor 25 Jahren. Sorge bereitet mir allerdings, dass es in manchen Fällen bei Sonntagsreden zur Pressefreiheit bleiben könnte, ohne dass sich bestimmte Einsichten im Redaktionsalltag niederschlagen.

Was motiviert Sie, sich gerade für das Thema Pressefreiheit einzusetzen?

Ich bin selbst Journalistin und als deutsches Kind in einem Journalistenhaushalt in der Sowjetunion aufgewachsen. Deshalb habe ich schon sehr früh miterlebt, wie meine Eltern mit der Zensur umgingen und was es bedeutet, wenn wichtige Informationen nicht zur Verfügung stehen. Später habe ich bei der Arbeit in Krisengebieten die Erfahrung gemacht, dass vor allem lokale Journalisten und deren Familien den Bedrohungen unseres Berufs besonders ausgesetzt sind.  Das hat mich sehr nachhaltig geprägt.

Ich bin davon überzeugt, dass die Solidarität mit bedrohten Journalisten und Journalistinnen wichtig ist und ihre Arbeit unterstützt. Über die vielen Jahre in diesem Beruf und bei Reporter ohne Grenzen, bin ich einigen Kollegen und Kolleginnen begegnet, die im Gefängnis waren oder entführt wurden. Für sie war es überlebenswichtig, dass da draußen immer wieder an ihr Schicksal erinnert wurde und sie sich nicht vergessen fühlten. Das bleibt für mich bis heute der wichtigste Ansporn für dieses ehrenamtliche Engagement.

Die Fragen stellte Ansgar Gilster.