Fereshte, eine Lehrerin im Flüchtlingslager Moria

Obwohl in Moria die Not kein Ende nimmt, gibt das Schulprojekt „Wave of Hope“ die Hoffnung nicht auf: Inmitten der unwürdigen Bedingungen im Lager improvisieren Flüchtlinge einen Schulbetrieb für täglich viele hundert Schüler*innen.

Fereshte ist 17 Jahre alt, wurde in Afghanistan geboren und wuchs im Iran auf. Sie musste mit ihrer Familie fliehen und verbrachte viele Monate im Flüchtlingslager Moria. Dort engagierte sie sich als ehrenamtliche Englischlehrerin in der von Geflüchteten selbstorganisationen Schule „Wave of Hope“. Nach langer Wartezeit konnte Fereshte im April 2020 Lesbos endlich verlassen und in eine Unterkunft auf dem griechischen Festland ziehen. Wir haben sie gefragt, wie diese einzige Schule in Moria funktioniert, was sie persönlich dort gelernt hat und welche Zukunft das Projekt hat.

Foto: Jörn Neumann (Creative-Commons-Lizenz BY-ND 2.0)

Fereshte, wie ist es überhaupt zu dieser Schule in Moria gekommen?

Wir wollten mit der Schule einen Ort schaffen, wo jeder im Lager etwas lernen kann: Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene und alte Menschen. In der Schule unterrichten wir alle Altersgruppen. Für den Lehrplan orientieren wir uns vor allem daran, was die Schüler*innen interessiert. Das sind vor allem Sprachkurse in Englisch, Deutsch und Griechisch. Mittlerweile sind noch Kunst und Musik als Fächer dazugekommen. Der Unterricht ist auch unglaublich wichtig, damit die Menschen zumindest ein wenig ihren trostlosen Lageralltag vergessen können, zum Beispiel indem sie Vokabeln lernen oder malen. Das einzige was Kinder in Moria sonst tun können, ist im Müll zu spielen. Viele Frauen und Mädchen leiden auch unter den konservativen Rollenbildern in ihren Familien. Der Unterricht gibt ihnen die Möglichkeit, aus dieser Enge herauszukommen.

Wie sieht der Unterricht an der Schule ganz praktisch aus? 

Die Schule besteht aus einigen selbstgebauten Zelten, in denen wir täglich über tausend Schüler unterrichten – von frühmorgens bis spätabends. Die Klassen sind immer völlig überfüllt, weil so viele lernen wollen. Oft sind mehr als 50 Schüler in einer Klasse, was für die ehrenamtlichen Lehrer eine ziemliche Herausforderung ist. Doch durch Improvisation kommt am Ende immer ein ziemlich geregelter Unterricht heraus, inklusive Hausaufgaben und Prüfungen. Am Wochenende haben wir Lehrerkonferenzen, wo wir über die Lernleistungen einzelner Schüler sprechen, damit niemand unter- oder überfordert ist, sondern in der richtigen Gruppe lernt. Außerdem tauschen sich die Lehrerinnen und Lehrer – die ja meist keine studierten Pädagogen sind – über Unterrichtsmethoden aus und geben sich gegenseitig Tipps. So lernen auch die Lehrer ständig dazu und die Schule wird von Woche zu Woche besser.

Foto: Jörn Neumann (Creative-Commons-Lizenz BY-ND 2.0)

Was hast du für dich persönlich durch die Schule gelernt?

Jeden Tag die fleißigen und wissbegierigen Schüler*innen zu sehen, hat mir in Moria enorm viel Mut gemacht. Ich sage mir seitdem immer, dass es ganz egal ist, woher du kommst und in welcher Situation du gerade bist: Du kannst jedes Ziel erreichen! Ich habe gelernt, geduldiger und freundlicher zu sein und mich nicht von Schwierigkeiten unterkriegen zu lassen. Und wie wunderbar es ist, anderen Menschen zu helfen und ihnen Möglichkeiten zu eröffnen! Durch das Unterrichten bin ich dankbarer geworden und sehe, wie kostbar jeder Moment Lebenszeit ist. Das alles habe ich durch meine Schüler gelernt. Ich glaube fest, dass sie alle eine großartige Zukunft vor sich haben.

Was wünschst du dir für die Zukunft der Schule?

Im Augenblick ist die Zukunft der Schule stark gefährdet. Wo die Schule bislang war, werden neue Zelte für Familien aufgestellt. Die Schule musste weichen. Kaum hatten wir einen neuen Standort gefunden, wurde er uns wieder entzogen, weil dort nun ein improvisiertes Lazarett entsteht. Moria droht aktuell ja eine große Corona-Katastrophe. Daher kümmern wir uns derzeit nur unter freiem Himmel um die kleinsten Kinder – können aber ansonsten nicht unterrichten und haben auch keine Schulzelte mehr. Insofern hoffe ich einfach, dass die Schule überhaupt eine Zukunft hat. Sie heißt ja „Wave of Hope“, also Welle der Hoffnung, deswegen werden wir die Hoffnung nicht aufgeben. Die Schule wird hoffentlich bald wieder eröffnen und vielen Menschen Hoffnung geben – allen Schülerinnen und Schülern und den Lehrern. Sie alle haben doch eine Chance verdient, ihre Talente zu nutzen, zu spüren, dass sie etwas Sinnvolles tun, und glücklich zu werden! Das wünsche ich mir von ganzem Herzen.

Die Fragen stellte Ansgar Gilster.